geolinde

Die geographischen Seiten des TLG

Wüstenerlebnisse

rohlfswuestenerlebnisse1Gerhard Rohlfs
Quer durch Afrika
Die Erstdurchquerung der Sahara
vom Mittelmeer zum Golf von Guinea
1865 - 1867

Anderen Tags wurde früh um sechs Uhr aufgebrochen. Ein wütender Südostwind erfüllte die Luft mit Staub, der uns jede Fernsicht wegnahm. Nach Übersteigung einer Hügelkette kamen wir um zwei Uhr in das Tal Dendal-Galadima, um vier Uhr in das Tal Meschru und um sechs Uhr zu dem Brunnen Meschru am nördlichen Abhang eines niedrigen Höhenzuges. In diesen Tälern gibt es zahlreiche, bis zu fünfzig Fuß hohe »Neulinge«; alle aus pflanzlichen Überresten, namentlich des Ethelbaumes, bestehend, deuten sie darauf hin, dass der jetzt nur mit Sand und Kies bedeckte Boden früher eine nicht unbedeutende Vegetation zu ernähren imstande war. Dicht an unserem Weg lagen die Trümmer einer Marmorsäule. Meine Leute und die Tebu wollten in den Stücken versteinerte Menschenknochen erkennen. Ich glaube, eine Säule von so schönen Proportionen und einer Höhe von etwa zwanzig Fuß verrät unverkennbar römische Arbeit. Jedenfalls muss das Werk, da sich nirgends in der Nähe Kalkformation oder Marmor findet, von weither dahin gebracht worden sein. Die Römer mochten hier eine Etappenstation oder vielleicht nur ein Denkzeichen ihres Vordringens errichtet haben.

Der an diesem und dem vorhergehenden Tag herrschende Sturm hatte solche Mengen Sand in den Brunnen getrieben, dass der Wasserspiegel mit einer dicken trockenen Schicht bedeckt war. Einige von unseren Leuten mussten dreißig Fuß tief hinabgelassen werden, unten mit ihren Händen den Sand aufkratzen und ihn in Körbe füllen, welche dann die Übrigen an Seilen heraufzogen. Nach zwei Stunden harter Arbeit erhielten wir endlich Wasser, zwar noch trübe, aber reichlich und gut. Rings umher lagen Massen von Kamel- und Menschenknochen, ein weites Knochenfeld. Selbst in meinem Zelt stieß ich auf einen Schädel, den meine Leute in der Dunkelheit beim Abräumen des Bodens übersehen hatten. Die Menschengerippe sind Überreste von verschmachteten Sklaven, deren Leichname man nicht der Mühe wert hält, in Gräber zu verscharren, sondern da, wo sie gefallen sind, liegen lässt. Nachdem wir am folgenden Morgen die Wasserschläuche gefüllt und unsere Kamele nochmals getränkt hatten, marschierten wir um halb zehn Uhr in der Richtung von 175 Grad weiter. Überall am Weg sieht man gebleichte Menschenknochen, an manchen noch Fetzen von dem blauen Kattun [grober Baumwollstoff], den die Negersklaven tragen; man braucht nur diesen Gerippen zu folgen, so kann man den Weg nach Bornu nicht verfehlen. Furchtbar ermüdet durch den heißen Wind, der uns zwei volle Tage gepeinigt hatte, erreichten wir um acht Uhr den Lagerplatz. Das Wüstenreisen hatte mich bereits seine Strapazen tüchtig empfinden lassen und mir durch den steten Anblick von Gerippen umgekommener Menschen seine Gefahren vor Augen gestellt. Und es war noch ein weiter Weg bis zur nächsten bewohnten Oase!

Morgens gegen Viertel nach sechs, nicht so früh als es bei der entsetzlichen Tageshitze wünschenswert gewesen wäre, wurde am 12. April aufgebrochen. Zu beiden Seiten des Weges waren in einer Entfernung von etwa zwölf Stunden hohe, von Norden nach Süden laufende Bergketten sichtbar. Um elf Uhr gelangten wir an den Nordrand der Hochebene von Aloota kiu, die sich in bedeutender Steigung nach Süden zu erhebt. Die Hitze war zwar nicht so drückend wie an den beiden vorhergehenden Tagen, doch litten Menschen und Tiere sehr empfindlich von den Strahlen der Mittagssonne. Mein armer Hund hatte sich auf dem bis zu 70 Grad erhitzten Boden die Füße verbrannt und war unfähig zum Weiterlaufen; ich musste ihn auf ein Kamel setzen. Ich selbst konnte vor Erschöpfung den ganzen Tag nichts essen, trank aber alle fünf Minuten gierig eine Tasse mit etwas Tamarindensaft gesäuerten Wassers. Maina Adem, dieser Wüstensohn, fand die Morgen, obgleich das Thermometer vor Sonnenaufgang fast nie unter + 20 Grad fiel, noch zu kalt zum Reisen. Er wäre daher gern am Abend etwas weiter marschiert, ich ließ aber um sieben Uhr haltmachen und bestimmte ihn so ebenfalls zu lagern.

Am anderen Morgen, während er und die Seinigen noch in tiefem Schlaf lagen, brach ich mit meinen Leuten um halb fünf Uhr auf. Wir erreichten nach einer Stunde den Südrand der Aloota kiu und betraten um neun Uhr das Tämmo-Gebirge, von den Arabern wegen seiner Zerklüftung Uar oder War genannt. Es besteht ganz aus schwarzem oder vielmehr an der Oberfläche geschwärztem nubischem Sandstein und umschließt mehrere kesselartige Täler, in deren südöstlichstem die Brunnen oder Wasserlöcher von Tämmo liegen. Die schwarze Färbung erhält das Gestein teils unter dem Einfluss der Witterung, teils von den beigemengten Eisenerzen, zum Teil aber bestehen die Felsen vielleicht auch aus wirklichem schwarzem Basalt. Oben sind die Berge abgeplattet, und alle haben ziemlich gleiche Höhe, woraus sich schließen lässt, dass sie früher ein einziges Hochplateau bildeten.

rohlfswuestenerlebnisse1Ich bestieg einen Berg östlich vom Weg, der mir der höchste zu sein schien, und fand seine Höhe zu neunhundert Meter, während der Pass über das Tämmo an seiner höchsten Stelle 715 Meter hat. Um ein Uhr traf ich wieder bei meiner Karawane ein, ging aber dann, während sie ihren Weg durch das Gebirge fortsetzte, nach einer fast zwei Stunden in südöstlicher Richtung entfernten Quelle, um mich an ihrem herrlichen frischen Bergwasser zu laben. Erst seit Menschengedenken ist diese Quelle den Karawanen bekannt, sei es, dass sie durch Zufall von einer verirrten Karawane aufgefunden wurde oder dass ein seinem Vaterland ungetreuer Tebu ihr Vorhandensein den Arabern verriet. Frisch ausgetretene Gazellenpfade und Haufen von Vogeldünger zeigen, dass täglich Hunderte von lebenden Geschöpfen die Quelle besuchen; aber vergebens sah ich mich nach Spuren von Vegetation um, kein Halm war zu erblicken, nur in einigen Tälern des Tämmo-Gebirges sprießt nach anhaltendem Regen etwas Gras und Kraut hervor. Desto widerlicher berührte mich der Anblick umherliegender Knochengerippe, darunter der halbe Leichnam eines Negerknaben, der zur Mumie vertrocknet war, ehe die von weither kommenden Hyänen Zeit gehabt, ihn ganz zu verzehren. Der Unglückliche hatte sich jedenfalls von einer Karawane, während sie an der zwei Stunden entfernten Straße lagerte, heimlich weggestohlen, um an der Quelle seinen brennenden Durst zu löschen, und war dann hier dem Hunger zum Opfer gefallen.

»Warum bindest du die Wasserschläuche stets so aufs Kamel, dass die Mündung nach vorn zu liegen kommt?« fragte ich einst Mohammed Gatroni. »Das habe ich den Sklavenkarawanen abgesehen; man lässt die Mündung nach vorn hängen, damit die Sklaven nicht heimlicherweise trinken können, denn das Kamel steht dann gleich still und verrät durch sein Brüllen, wenn einer den Schlauch öffnet. « Nirgends traten mir die Schrecken und Greuel des Sklavenhandels so auf Schritt und Tritt entgegen wie auf dem Weg von Fesan [Libyen] nach Bornu [Sudan]. Hierher sollten diejenigen kommen, welche immer noch behaupten, die Mohammedaner behandeln ihre Sklaven mit Menschlichkeit und schonender Milde; sie würden dann nicht mehr wagen, sich und die Welt durch solche Lügen zu täuschen.

Am 14. April erfolgte der Aufbruch um halb sieben Uhr früh. Wir verließen das Gebirge in gerader Südrichtung und durchschritten mehrere trockene nach Südwesten verlaufende Rinnsale. Wir passierten auch ein durch zwei Hügel gebildetes Tor. Über niedrige Felsen steigend, gelangten wir um drei Uhr in die Ebene Emi-Madema (südl. Libyen, bei 23°44’N, 15°17’O) und lagerten in derselben um sechs Uhr. Der Tag war weniger heiß gewesen, obschon die Hitze immerhin des Nachmittags 40 Grad im Schatten erreichte, doch war ich von der am vorigen Tag unternommenen Bergbesteigung und dem Ausflug nach der Quelle so ermüdet, dass mir Reiten wie Gehen gleich schwer wurde.

Folgenden Tags begannen wir um halb sieben Uhr unseren Marsch. Immer südwärts gehend hatten wir links den Tji-Grunto, rechts eine unabsehbare Ebene. Nach zwölf Stunden lagerten wir an einem Brunnen, von den Arabern Ahmer-es-Schergi genannt. Die Brunnen des Landes, obgleich nicht tief, sind im schlechtesten Zustand und fast immer versandet. Solange das Gebiet von den Sultanen beherrscht war, sorgten diese für die Instandhaltung der Brunnen bis zum Jat; die türkischen Paschas aber kümmern sich nicht um die Brunnen südlich von Tedjerri und lassen selbst die in Fesan befindlichen meist verfallen. Gerade in der Umgebung der Brunnen liegen daher die meisten Gerippe von Menschen. Hat eine Karawane mit ihren durch Strapazen und Entbehrungen erschöpften Sklaven nach weiter Wanderung endlich einen Brunnen erreicht, dann findet sie ihn mit Sand gefüllt, und es muss oft erst tagelang gegraben werden, ehe man Wasser bekommt; unterdessen ist aber mancher der vom Durst Gepeinigten seinen Leiden bereits erlegen.

Am 16. April morgens um halb sieben Uhr Aufbruch gen Süden. Bei völliger Windstille über eine kiesbedeckte ununterbrochene Ebene ziehend, ward mir schon um acht Uhr die Hitze fast unerträglich. Um halb vier Uhr erreichten wir Buddema, einen grünen kräuterreichen Strich Landes, wo meine Karawane lagerte, um die Kamele weiden zu lassen, während Maina Adem mit seiner Gofla weitermarschierte. Aber schon nachts um zwei Uhr zog ich ihm nach, und um sechs Uhr morgens waren die beiden Karawanen wieder beisammen.

Immer die Richtung nach Süden einhaltend, gelangten wir mittags zu der ausgedehnten Niederung Mafaras, doch erst um vier Uhr, ganz erschöpft von dem anstrengenden Marsch und der drückenden Hitze, an den mit einigen Talha- und Ethelbäumen beschatteten Brunnen. In seiner Nähe gab es reichlich Futter für die Kamele, und da auch die Menschen dringend einer Rast bedurften, wurde an dem Tag nicht weitergegangen.

Um die Glut der Tageshitze zu meiden, brach ich schon nachts um halb zwei Uhr auf, und diesmal ließ sich auch Maina Adem zum gleichzeitigen Abmarsch überreden. Wir waren ungefähr eine Stunde unterwegs, auf einer großsteinigen Hammada die südliche Richtung verfolgend, da riss der vordere Sattelgurt meines Kamels, und ich stürzte rücklings samt der aus zwei Kisten bestehenden Ladung zu Boden. Glücklicherweise fiel ich mit dem Kopf auf meine mitherabgerutschte Matratze, ich hätte mir sonst das Genick brechen können; so kam ich mit einigen Quetschungen davon. Es verging aber viel Zeit mit dem Wiederaufladen und Befestigen der Kisten; die Karawane war unterdes weitergezogen, und in der Dunkelheit verlor ich ihre Spur. Ich feuerte ein paar Notschüsse ab, um sie zum Halten zu veranlassen, und es ergab sich, dass ich mich fast eine Stunde westlich von ihr verirrt hatte. Als der Tag anbrach, befanden wir uns am Ausgang der Maferas. Hier wurde um acht Uhr zum ›Gielen‹ gelagert. Jetzt bemerkte ich erst, dass mir bei dem Sturz vom Kamel nicht nur ein Aneroid [Barometer] und ein Doppelfernglas, die in einem ledernen Futteral am Sattel hingen, abhanden gekommen waren, sondern dass auch mehrere von den in den Kisten verpackten Gegenständen zerbrochen oder beschädigt waren; zum Glück blieben die auch darin liegenden Aneroide unversehrt. Um halb zwei Uhr nachmittags setzten wir, obgleich die Sonne noch tüchtig brannte, den Marsch wieder fort. Gegen Osten in einer Entfernung von sechs bis acht Stunden war der Horizont durch Sanddünen begrenzt. Der Boden wurde immer hügeliger, wir hatten mehrere Engpässe zu passieren, und da infolge des Sturzes meine Glieder mich noch schmerzten, ließ ich um halb zehn Uhr abends lagern.

(Vollständiger Text unter www.gutenberg.aol.de)

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