Wasser da, Wasser weg - die Gezeiten
Natürlich sind die Unterschiede in der Nordsee nirgends so extrem wie links auf dem Bild! An manchen Stellen wie hier in Nordamerika können es 15 Meter Tidenhub, also Unterschied zwischen Niedrigwasser - Ebbe - und Hochwasser - Flut - sein (siehe Bild rechts)!
Übrigens: Der größte Tidenhub weltweit mit 18 Metern wird in der Bay of Fundy an der Atlantikküste Nordamerikas gemessen. In Europa gibt es in der Bucht von St. Malo einen Tidenhub von immerhin 14 Metern. |
Wie aber entsteht diese gewaltige und dazu noch recht regelmäßige Schwankung des Meeresspiegels?
Die sogenannten Gezeiten sind ein sehr kompliziertes Phänomen. Sie werden durch die Anziehungskräfte zweier Himmelskörper, Mond und Sonne, und eine genau in die entgegengesetzt wirkende Kraft, die Fliehkraft, erzeugt. An erster Stelle ist der Mond zu nennen, dessen Schwerkraft alles auf der Erde anzieht und somit auch die besonders leicht beweglichen Massen der irdischen Ozeane.
War das schon fast zu kompliziert? Dann einfach einmal anschauen, was bei Ebbe und Flut mit dem Wasser geschieht! -> Die Gezeiten - selber angeschaut
Mondbeulen!
Durch diese Anziehungskräfte entsteht eine dem Mond zugewandte Gezeitenwelle. Durch diese einseitige "Ausbeulung" der Wassermassen müsste die Erdkugel eigentlich eiern. Dem entgegen wirkt die Fliehkraft, die auf der genau der Mond-Gezeitenwelle ententgegegesetzten Seite der Erde eine zweite Welle erzeugt. Beiden Wellen laufen gemeinsam um die Erdkugel.
Übrigens: |
(Courtesy: Office of Naval Reserach)
Alles bewegt sich!
Da sich die Erde in 24 Stunden einmal um sich selbst dreht und der Mond in dieser Zeit am Himmel ein wenig weiter wandert, läuft die Gezeitenwelle in 24 Stunden und 50 Minuten einmal um die Erde.
Rechne die Sonne dazu!
Nun muss man noch die etwas schwächeren Auswirkungen der Sonnenschwerkraft mit einbeziehen. Stehen bei Neumond und Vollmond Sonne und Mond auf einer Linie addieren sich die Gezeitenwellen des Mondes und der Sonne, ein besonders hohes Hochwasser ist die Folge - die Springtide.
Stehen die Gezeitenwellen des Mondes (bei Halbmond) und der Sonne im rechten Winkel zueinander ist der Hochwasserstand besonders niedrig - die sogenannte Nipptide.
Noch genauer und komplizerter? (Wem es jetzt bereits reicht, der kann diesen Absatz überspringen!)
Einmal im Jahr ist die Sonne besonders weit von der Erde entfernt, am 2. Juli, das nennt man Aphel. Das liegt daran, dass die Umlaufbahn der Erde keinen Kreis beschreibt, sondern eine Ellipse. Dann wirken ihre Anziehungskräfte ebenfalls schwächer auf die Erde und die Sonnengezeiten sind niedriger.
Einmal im Jahr fliegt die Erde besonders nah an der Sonne vorbei, am 2. Januar, das nennt man Perihel. Dann wirken die Anziehungskräfte der Sonne stärker auf die Erde und die Sonnengezeiten sind höher.
Manchmal ist der Mond weiter von der Erde entfernt, im sogenannten Apogäum, manchmal ist er auf seiner ebenfalls elliptischen Umlaufbahn näher an der Erde, im sogenannten Perigäum. Je nachdem wirken seine Anziehungskräfte stärker oder schwächer auf die Erde und damit auch auf die Gezeitenwelle.
Nimmt man nun die "Unregelmäßigkeiten" der beiden Umlaufbahnen zusammen, so ergeben sich verschiedenste Möglichkeiten, von einer extremen Springtide bis zu ganz niedrigen Nipptiden. Schon aus diesen Gründen gibt es keine zwei gleich hohen Springtiden oder gleich niedrigen Nipptiden.
Und dann noch der Wind!
Und dann ist da noch der Wind, der auch große Wassermengen vor sich herschieben kann. Bei einem schweren Sturm kann ein Hochwasser mehrere Meter höher ausfallen, als nur auf Grund der Gezeiten. Dies nennt man dann Sturmflut.
Springtide! Ja, richtig gesehen, dieser Steg ist unter Wasser!
Ach ja! Da wären auch noch die ganzen Inseln, ...
Die Gezeitenwelle kann nicht überall gleich schnell angelangen, da ihr Inseln und manchmal sogar ganze Kontinente im Weg stehen. Trifft sie auf ein Hindernis, wird sie abgelenkt, zurückgeworfen, ...
Hat sie nur wenig Platz zwischen zwei Inseln muss sie sich beinahe hindurchquetschen, was zwischen den Inseln zu höheren Hochwasserständen führt.
Schematische Darstellung der Laufrichtung der Gezeitenwelle in der Nordsee
Der Weg in das Randmeer Nordsee wird der Gezeitenwelle massiv erschwert, die Britischen Inseln liegen quer. Zwei auch zeitlich getrennte Wellen laufen daher in die Nordsee hinein, überlagern sich an manchen Orten oder schwächen sich an anderen gegenseitig ab.
Daher muss für jeden Ort eigens ein Tidenkalender berechnet werden.
Sonderfall Ostsee: Da der Durchgang in die Ostsee so schmal ist und sich auflaufendes und ablaufendes Wasser auch noch gegenseitig behindern, gibt es in weiten Bereichen der Ostsee nur einen Tidenhub von weniger als 10 Zentimetern.
Das hat übrigens auch Auswirkungen auf die Küstenformen der Ostsee: -> mehr Infos!
Alles klar? -> auf zum Wissenscheck!
Quellen:
- Bilder oben rechts: NOAA
- Animation: Office of Naval Research (U.S. Navy)
- Grafiken: STM (oben), STM/ONR (Mitte), STM/NOAA (unten)