Landminen in Angola
»Nicht nur ein neues Bein und fertig«
Das Zentrum zur Unterstützung von Gemeindeförderung und Gemeindeentwicklung (CAPDC)
In Luena, der Hauptstadt der Provinz Moxico, ganz im Osten Angolas und über 1000 Kilometer von der Hauptstadt entfernt, initiierte medico international 1996 gemeinsam mit Partnerorganisationen ein umfassendes und integriertes Rehabilitationsprogramm für Minenopfer. Seit 2001 leiten ausschließlich angolanische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter das Zentrum zur Unterstützung von Gemeindeförderung und Gemeindeentwicklung (Centro de Apoio à Promoção e Desenvolmimento de Comunidades, CAPDC). »Landminen bedrohen nicht nur das Leben einzelner Menschen, sondern zerstören auch die sozialen Strukturen«, so der Leiter von CAPDC, Fernando Miji. Daher beschäftigen sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von CAPDC nicht nur mit der individuellen Lebenssituation der Person, die einen Minenunfall überlebt hat, sondern auch mit dem gesellschaftlichen Umfeld. Alle Menschen in der Gemeinde sind von Landminen betroffen, weil die Landwirtschaft und selbst das Feuerholzholen zum »angolanischen Roulette« wird; Angola zählt auch zwei Jahre nach dem Krieg zu den am meisten verminten Ländern der Welt. In der Prothesenwerkstatt, die in Kooperation mit der Vietnam Veterans of America Foundation betrieben wird, fertigen lokale Techniker Prothesen für die Überlebenden von Minenunfällen an. Dies befreit sie von den Krücken. Eine wichtige Voraussetzung dafür, das Leben im wörtlichen Sinne wieder in die eigenen Hände nehmen zu können. Über 1000 Menschen konnten bereits mit Prothesen versorgt werden.
Tito Castro Capachica erhielt eine Prothese. Als Soldat trat er auf eine Mine. »Ich fühlte nichts mehr als Schmerz.« Nach dem Unfall fühlte er sich nutzlos und war der Ansicht, dass er sein Anrecht auf eine Platz in der Gesellschaft verloren hat. Er wurde zum Prothesentechniker ausgebildet und arbeitet jetzt bei CAPDC. »Seit ich eine Prothese habe, habe ich die Krücken nie wieder benutzt. Die Prothese ermöglicht es mir, alles zu tun wie ein gesunder Mensch. Ich fühle mich frei und unabhängig.« CAPDC arbeitet eng mit den Minenaufklärern zusammen, um der Idee des integralen Ansatzes gerecht zu werden. Minenunfälle bereits im Vorfeld zu verhindern ist die Devise der Aufklärungsteams, die in der Provinz Moxico die Bevölkerung, vor allem Kinder, über die Gefährdung durch Minen informieren. Mit CAPDC tauschen sie Informationen aus und informieren über Minenfelder.
Ein junges Minenopfer in Angola © USAID
Keine halben Sachen- Für ein Verbot aller Minen
Die Internationale Kampagne für das Verbot von Landminen (ICBL) – »ein Modell für eine neue aktive Friedenspolitik« (Friedensnobelpreiskomitee), eine der »erfolgreichsten zivilgesellschaftlichen Initiativen« (UN-Generalsekretär Kofi Annan). Die Anerkennung, die der von medico international und der Vietnam Veterans of America Foundation gegründeten Kampagne Ende der 90er Jahre zuteil wurde, schwelgte zuweilen in höchsten Tönen. Anlass für uns, kritisch Bilanz zu ziehen.
Übrigens: In 87 Ländern der Welt liegen etwa 60.000.000 Landminen im Boden. Bis zu 100.000 Kinder werden jedes Jahr durch Minenexplosionen verletzt oder getötet.
Zunächst die Erfolgsstory: Tatsächlich ist es gelungen, eine der mörderischsten Waffen des letzten Jahrhunderts weltweit zu ächten. Kaum jemand mehr bekennt sich heute noch offen zu Minen. Politiker reagieren verschämt, Militärs besorgt und ehemalige Minenproduzenten behaupten gar, nie Minen hergestellt zu haben. In über 150 Ländern sind Anti-Personen-Minen heute verboten, und selbst Länder wie die USA, die Türkei oder Russland, deren Armeen noch über Minen verfügen, wollen sie eigentlich los werden. Die Zahl der Produzenten von Anti-Personen-Minen ist deutlich zurückgegangen, und der Handel mit Minen fast gänzlich zum Erliegen gekommen. Erstmals werden mehr Minen vernichtet als neu verlegt. Ein langer Weg Eine Bilanz also, die sich sehen lassen kann. Zumal das, was erreicht wurde, das Ergebnis einer zivilgesellschaftlichen Initiative ist. Nicht einmal eine Handvoll Leute waren wir, die im November 1991 den Entschluss zu einer weltweiten Kampagne gegen die Landminen fassten. Damals konnte niemand von uns ahnen, dass der Appell zweier Nichtregierungsorganistionen innerhalb so kurzer Zeit so viel Resonanz finden und schließlich gar zum Friedensnobelpreis führen würde. Denn das, was uns zu Beginn der Kampagne entgegen schlug, waren nicht Ehrungen, sondern Spott und Anfeindungen. Dennoch enstand ein schlagkräftiges Netzwerk aus über 1000 Organisationen und Verbänden, das von ganz unterschiedlichen Teilen der Öffentlichkeit getragen wird. Erstmals in der Geschichte gelang es, den vereinigten Militärs dieser Welt ein Waffenverbot abzuringen. Erstmals wurde mit der Internationalen Konvention zum Verbot von Anti-Personen-Minen, dem Ottawa-Vertrag, Völkerrecht unter Mitwirkung von Nichtregierungsorganisationen geschrieben. Und erstmals konnte ein Abrüstungsabkommen um die Verpflichtung zu humanitären Aktionen erweitert werden. Es ist ein spätes Eingeständnis der Verantwortung, dass sich die reichen Vertragsstaaten dazu verpflichtet haben, den ärmeren bei der Beseitigung der Minen-Schäden und der Rehabilitation sowie sozialen und wirtschaftlichen Reintegration der Opfer zu helfen. Auch Deutschland, das zu den Profiteuren des Geschäfts mit Minen zählt, steht in der Verantwortung. Seit dem Inkrafttreten des Ottawa-Vertrages am 1. März 1999 halten viele Menschen das Thema Minen für erledigt – ein Trugschluss. Noch immer werden Menschen während der Landarbeit, bei der Suche nach Feuerholz, auf dem Weg in die Stadt oder zur Schule verstümmelt und getötet. Jahrzehnte wird es dauern, bis alle Minen geräumt sind, und ebenso lange wird es notwendig sein, den Minenopfern, die zu einem Drittel Kinder sind, Hilfsstellungen zukommen zu lassen. Für Prothesen, die psychosoziale Betreuung der Opfer, für Umschulungsprogramme und andere Wiedereingliederungshilfen sowie für Erwerbslosen- und Kriegsversehrtenrenten wird noch über Jahre hinweg sehr viel Geld bereitzustellen sein – weit mehr, als dies bislang der Fall ist.
Gefahr durch Antifahrzeugminen
Aber noch aus einem weiteren Grund ist das Thema Minen nicht erledigt. Der Ottawa-Vertrag verbietet nur eine bestimmte Gruppe von Minen, die so genannten Anti-Personen-Minen, während der Einsatz von Anti-Fahrzeug-Minen und minen-ähnliche Waffen wie Streubomben nach wie vor erlaubt ist. Auch solche Minen töten und verstümmeln Zivilisten. Tag für Tag. Anti-Fahrzeug-Minen treffen Erntefahrzeuge, vollbesetzte Schulbusse und Konvois mit Nahrungsmittelhilfen. Und nicht explodierte Streubomben bedrohen gerade auch Kinder, die solche Waffen fatalerweise für Spielzeug halten. Erschreckend aber ist auch die Tatsache, dass die Militärs damit begonnen haben, die verbotenen Anti-Personen-Minen durch neue Waffensysteme ersetzen zu wollen. Nicht die kaltblütige Perfektionierung des Krieges ist gefragt, sondern die Beseitigung der Kriegsursachen, – mithin die Umwidmung von Militärbudgets für Programme zur Förderung sozialer Gerechtigkeit.
Thomas Gebauer, Geschäftsführer medico international
Text mit freundlicher Genehmigung von