Die Sahelzone in Niger - Streit zwischen Ackerbauern und Viehzüchtern
Rixta Lycklama à Nijeholt und Martina Wegner
(leicht gekürzt und verändert mit freundlicher Genehmigung des DED)
Niger ist ein typisches Sahelland. Der Großteil der Bevölkerung lebt von Hirseanbau (Sorghum) und Viehhaltung. Die klimatischen Bedingungen mit regelmäßigen Trockenperioden und das hohe Bevölkerungswachstum führen zu wachsendem Druck auf die natürlichen Ressourcen.
Die Landschaftszonen erlauben
- im Süden des Landes eine Kombination von Ackerbau und sesshafter Viehhaltung (Ackerbauzone),
- im Norden eine mobile (nomadische oder seminomadische) Viehhaltung (Pastoralzone)
- sowie im Bereich von Brunnen und Oasen auch Gartenbau.
Am Ende der Regenzeit ziehen die Viehhalter mit ihren Herden über Hunderte von Kilometern in die Ackerbauzone des Südens. Dort beweidet das Vieh die abgeernteten Äcker, was eine ideale Art der Düngung darstellt. Zu Beginn der Regenzeit kehren die Viehhalter zu den Weiden der Pastoralzone in den Norden zurück, so dass die Bauern ihre Felder bestellen können. Diese Wanderungen werden als Transhumanz bezeichnet.
(Foto: Martina Wegner)
Konflikte um Wasser und Weiderechte
So der Idealfall, doch in der Realität kommt es immer wieder zu Konflikten zwischen den Ackerbauern und den nomadischen Viehhaltern. Bei allen Konflikten geht es um den Zugang zu den knapp gewordenen natürlichen Ressourcen, vor allem Wasser und Weideflächen. Manchmal spielen politische Autoritäten und Entwicklungsprojekte eine konfliktverschärfende Rolle. Im Einzelnen können die Konflikte folgendermaßen beschrieben werden:
Hauptursache für die Konflikte ist der Zugang zu und die Kontrolle von Wasserstellen und Weideland. Personen oder Gruppen von Viehhaltern, die einen Brunnen besitzen oder beherrschen, bestimmen über die Nutzung der umgebenden Weiden und haben daher Macht gegenüber anderen Nutzern. Das Thema Wasser- und Weidenutzungsrechte ist sehr sensibel und wird nicht immer transparent behandelt, was dazu führt, dass Brunnenbauprojekte in der Pastoralzone und deren nachhaltige Inwertsetzung und Pflege oft scheitern. Besonders Nutzungsrechte und -traditionen müssen sehr genau identifiziert werden, um nicht einerseits Weidegebiete für Nutzergruppen zu erschließen, die diesen womöglich nicht zustehen und andererseits nicht Nutzergruppen Macht über Wasser und Weide zu verleihen, die diese missbrauchen könnten. Durch die Dürren im Sahel Anfang der siebziger und achtziger Jahre waren die Menschen gezwungen, die Produktionsweisen zu erweitern, um das Risiko von Einkommensausfällen zu minimieren: Viehhalter fingen an, Land zu bestellen und Ackerbauern kauften zunehmend Vieh. Ackerbauern und Viehhalter wurden dadurch zunehmend unabhängig voneinander und so zu Konkurrrenten um Ressourcen.
Nach wie vor wandern jedoch die Nomaden des Nordens in die Ackerbauzone des Südens. Ständige Streitpunkte sind Durchzugswege und das Abweiden der abgeernteten Ackerflächen. Da Ackerbauern zunehmend selbst über Vieh verfügen, ist es nicht mehr notwendig, die Flächen den nomadischen Viehherden zugänglich zu machen, um Dünger zu gewinnen. Die Konflikte häufen sich zu Beginn und zum Ende der Regenzeit: Wassermangel im Norden, wo die Regenzeit kürzer und weniger ergiebig ist, führt dazu, dass Nomaden gezwungen sind, während der Anbauzeit zu wandern. Da die Weideflächen und Durchzugswege nahe an Feldern liegen, sind Verbissschäden auf den Feldern die Folgen. Die Ackerbauern halten auf Grund der rückläufigen Bodenfruchtbarkeit die Durchzugswege nicht frei, so dass Nomaden gezwungen sind, ihre Tiere über frisch bestellte Ackerflächen zu treiben.
Viele der großen Ressourcenschutzprojekte sind in der Ackerbauzone angesiedelt, da zum einen hier die landschaftliche Degradierung durch den erhöhten Bevölkerungsdruck schlimmer ist als in der Pastoralzone, zum anderen sesshafte Bevölkerungsgruppen wesentlich leichter zu beraten sind als nicht sesshafte.
Früher wurde vor allem die sesshafte Bevölkerung in Erosionsschutz und Aufforstung beraten. Heute versucht man, alle Nutzergruppen an der Landnutzungsplanung zu beteiligen. Dies geschieht vor allem durch Einrichten von Komitees zur Landnutzungsplanung auf Dorfebene. Oft dauert es jedoch lange, derartige Komitees einzurichten und Nutzungsregeln zu erstellen. Und an diesem Prozess nehmen nur die konstant anwesenden Gruppen teil. Saisonal hinzukommende oder durchziehende Gruppen werden nicht angemessen beteiligt, sondern höchstens über die Existenz von Komitees und Regeln informiert und angehalten, diese zu respektieren, da sonst Strafen drohen.
Hinzu kommt, dass in den Ressourcenschutzprojekten im Süden Nigers große Flächen aufgeforstet und anschließend unter Schutz gestellt werden. Für die Nomaden auf ihrer Transhumanz heißt das, dass sie diese ehemals freien Flächen nicht mehr nutzen können, und oft nicht einmal mehr Durchzugswege finden. Um dies zu vermeiden, sollten den Interventionen lange Orientierungsphasen vorausgehen, in denen alle Nutzergruppen und -typen einer Region erkannt und berücksichtigt werden.
Frauen als Ressourcennutzerinnen sind häufig Konfliktpartei, da sie bei Erbangelegenheiten und bei Abwesenheit ihrer Männer, die oft in den Nachbarländern als Saisonarbeiter arbeiten, meistens übergangen werden. Derartige Konflikte sind für sie schwer zu lösen, da sie innerhalb der Gesellschaft darauf angewiesen sind, ihre Interessen von Männern vertreten
zu lassen.
Chancen für die Konfliktlösung
In Niger sind unterschiedliche Instanzen damit beauftragt, Konflikte um Ressourcennutzung zu lösen.
- In erster Instanz versuchen beide Konfliktparteien direkt und indirekt, d.h. mit Hilfe von Familien und Klans, die Streitigkeiten durch Verhandlung selbständig beizulegen. Können sich beide Parteien nicht einigen, ist
- in zweiter Instanz die Kompetenz der traditionellen Dorfchefs gefragt. Hier wird versucht, durch Vermittlung einen Konsens zu erreichen. Die Mehrzahl der Konflikte wird auf der Ebene der traditionellen Instanzen entschieden. Erst wenn die Mediationsbestrebungen der traditionellen Chefs gescheitert sind, wird
- als dritte Instanz die unterste Ebene der Administration (Arrondissements) informiert. Diese nimmt den Tatbestand schriftlich auf und leitet ihn an die Justiz weiter. Sie besitzt selbst nicht die Autorität, Konflikte zu schlichten. In den Gerichten werden die Konflikte dann rechtsverbindlich verhandelt.
Konfliktprävention
In Niger gibt es in vorbildlicher Weise für alle Nutzer verbindliche konfliktvorbeugende Vorgaben auf staatlicher Ebene, die ein Miteinander der beiden unterschiedlichen Wirtschaftsweisen erleichtern sollen.
Zum Beispiel gibt es eine offiziell festgelegte Nordgrenze des Ackerbaus, den 14. Breitengrad. Nördlich davon dürfen Ackerbauern keine Felder anlegen, allerdings können Nomaden der Region hier punktuell Flächen temporär landwirtschaftlich bestellen. Die Saison der Transhumanz wird jedes Jahr im Radio angekündigt: Es wird ein Datum bekannt gegeben, zu dem die Felder abgeerntet sein müssen, um die Wanderungen der Viehhalter und ihrer Herden aus dem Norden nach Süden zu ermöglichen. Die großen Wanderungsachsen sind bekannt und zum Teil sogar mit Betonpfeilern markiert.
Wie können Konflikte eingeschränkt oder sogar vermieden werden?
Alle Handelnden, Ressourcennutzer, traditionelle und staatliche Autoritäten, Organisationen, die in Ressourcenkonflikten eine Rolle spielen, können und sollen in die Konfliktvermeidung miteinbezogen werden.
Ansätze sind:
- Bevor Projekte gestartet werden, sollten traditionelle Lebens- und Wirtschaftsweisen der verschiedenen Nutzergruppen erforscht sein, um mögliche Konfliktfelder um den Zugang zu natürlichen Ressourcen im Voraus zu benennen.
- Von Beginn an sollten sich alle Nutzergruppen am Prozess des Ressourcenmanagements beteiligen. Einflussreiche Vertreter der Bevölkerung, der traditionellen und staatlichen Autoritäten sowie Projektmitarbeiter sollten in Konfliktvermeidung und Konfliktschlichtungsmethoden beraten und fortgebildet werden.
- Aufklärungsarbeit über die Notwendigkeit des Nebeneinanders unterschiedlicher Wirtschaftsweisen verschiedener Bevölkerungsgruppen und über Konfliktvermeidung sollte öffentlich betrieben werden.
- Nationale und internationale Partner, wie der DED [Deutscher Entwicklungsdienst], können und müssen hierbei eine unterstützende und beratende Rolle spielen.
Quelle: Deutscher Entwicklungsdienst (Hrsg.): Ländliche Entwicklung und Ressourcenschutz. Bonn 2004, 7ff.