Der Norden wird grün
oder führt die globale Erwärmung zu einem Schwund der borealen Nadelwälder?
Wissenschaftler des Wood Hole Research Center um Dr. Scott Goetz herum konnten 2011 im Vergleich von zwanzig Jahre alten Satellitendaten mit modernen Messungen feststellen, dass die Klimaerwärmung teils absolut unerwartete Auswirkungen auf das Pflanzenwachstum im hohen Norden hat. Betroffen sind die Vegetationszonen der Taiga und der Tundra.
Ungefähr 14,5% der Landoberfläche der Erde wird von borealem Nadelwald (Taiga) bedeckt, also etwa 16 Millionen Quadratkilometer (Fläche der USA). Der boreale Wald formt einen Waldgürtel südlich an die polare Klimazone angrenzend durch Russland, Nordeuropa, Kanada und Alaska. Die südliche Grenze dieser Vegetationszone liegt etwa bei 50-60° nrdl. Breite.
Die boreale Nadelwaldzone (MODIS)
In der borealen Zone ist ca. 30% des in Festland-Lebensräumen gespeicherten Kohlendioxids festgelegt. Der Grund für diesen hohen Anteil liegt in den niedrigen Temperaturen: herabfallendes Laub zersetzt sich kaum, der Boden ist weit über die Hälfte des Jahres gefroren. Damit wird abgestorbene Biomasse kaum zersetzt, das in den Pflanzenteilen gebundene Kohlendioxid wird nicht frei. Somit ist der boreale Nadelwald ein wichtiger natürlicher Kohlenstoffspeicher, der auch eine zentrale Rolle bei der Klimaerwärmung spielen könnte. Kohlendioxid ist schließlich das wichtigste Treibhausgas, das die Klimaänderung vorantreibt.
Hauptgrafik: Rot: stark positive Wirkung auf das Pflanzenwachstum durch die Klimaerwärmung der letzten 20 Jahre; gelb: poitive Wirkung; grau: keine Wirkung; hellblau: negative Wirkung; blau: stark negative Wirkung auf das Pflanzenwachstum;
Grafik rechts oben: Änderung der Größe der vier Bereiche (von stark positiv bis stark negativ in denselben Farben wie in der Hauptgrafik) im Jahresdurchschnitt zwischen 1982 und 2003
Grafik links unten: Größe des durch sommerliche Brände betroffenen Gebietes zwischen 1980 und 2003
(Bild: http://www.whrc.org/borealNAmerica/eco_res.htm)
Im Bereich der Tundra ist wie zu erwarten bei steigenden Durchschnittstemperaturen ein deutlich positiver Trend für verstärktes Pflanzenwachstum zu erkennen.
Der negative Trend, d.h. die Abschwächung des Wachstums von borealen Nadelwäldern der Tundra in den letzten zwanzig Jahren, verwunderte die Forscher. Nach Auswertung von Klimadaten aus der Region ließ sich feststellen, dass zunehmende sommerliche Trockenheit zu einem jahrezeitlich verfrühten Wachstumsstopp der Nadelbäume führte.
Die sommerliche Trockenheit bei gleichzeitiger Erhöhung der Durchschnittstemperaturen passt exakt zu den Vorhersagen der meisten Modelle, die Auswirkungen der Klimaerwärmung vorhersagen sollen.
Ob sich der Trend zum Waldschwund fortsetzt, wollen die Wissenschaftler um Dr. Goetz die nächsten Jahre beobachten. Eine weitere Erwärmung könnte das Wachstum des borealen Nadelwaldes noch stärker hemmen und gleichzeitig dazu führen, dass große Mengen Kohlendioxid durch vermehrte Brände und den verstärkten Abbau von Pflanzenresten durch Mikroorganismen freigesetzt werden.
2022 konnte das Alftred-Wegener-Institut in einer Studie für Sibirien zeigen, dass die durchschnittliche Lufttemperatur im hohen Norden in den letzten 50 Jahren um mehr als 2 Grad Celsius angestiegen ist – und damit viel stärker als in anderen Regionen der Welt. Und dieser Trend wird sich fortsetzen. Bei ambitionierten Maßnahmen zur Treibhausgasreduktion könnte die weitere arktische Erwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts auf knapp unter 2 Grad begrenzt werden. Bleiben die Emissionen sehr hoch, droht laut Modellprognosen bis 2100 eine dramatische Erhöhung der durchschnittlichen Sommertemperaturen in der Arktis um 14 Grad Celsius über dem heutigen Wert.
Wollgräser am Ufer des Unteren Illerneys (AWI/Stefan Kruse)
„Für den Arktischen Ozean und das Meereis wird die aktuelle und künftige Erwärmung erhebliche Konsequenzen haben“, sagt Prof. Dr. Ulrike Herzschuh, Leiterin der Sektion Polare Terrestrische Umweltsysteme am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI). „Aber auch an Land wird sich die Umwelt drastisch verändern. Die weiten arktischen Tundraflächen in Sibirien und Nordamerika werden massiv zurückgehen, weil sich die Baumgrenze aktuell langsam und in naher Zukunft sehr schnell nach Norden verschiebt. Im schlimmsten Fall wird die Tundra bis Mitte des Jahrtausends nahezu vollständig verschwinden und mit ihr einzigartige Fauna und Flora.
Quellen:
- Woods Hole Research Center (http://www.whrc.org/index.php?option=com_content&id=942&catid=18&view=article)
- Earthobservatory Newsroom (http://earthobservatory.nasa.gov)
- AWI - Presseerklärung 25.05.22 (https://www.awi.de)